Marienkirche

Kurz nachdem Reutlingen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zur Reichsstadt erhoben worden war, wurde die staufisch-kaisertreue Stadt von den Truppen des Heinrich Raspe, dem Gegenkönig zu Konrad IV., belagert (1247). Die schwer bedrängten Bürger sollen damals gelobt haben, ihrer Beschützerin, der Jungfrau Maria, nach der Vertreibung der Feinde eine „herrliche Kapelle innerhalb der Mauern zu errichten“. Dieses Gelübde hatte für Reutlingen ­seinen besonderen Sinn, lag doch ihre einzige Kirche, die alte Pfarrkirche, außerhalb der Stadtmauern. — Die Feinde wurden in die Flucht geschlagen und noch im gleichen Jahr wurde den Chroniken zufolge mit den Bauarbeiten begonnen. Im Jahr 1343 konnte die fertige Kirche geweiht werden, nachdem die Reutlinger in Erfüllung ihres Gelübdes eine sehr große Pfarrkirche gebaut ­hatten, ihre Stadtkirche, die ganz das Werk ­eigener ­Initiative war. 

Mit den ornamentalen Schmuckmotiven hält der Reichtum der gotischen Kathedralen in Reutlingen Einzug. Die drei Portale enden mit einem Wimperg in gleicher Höhe und verschneiden sich mit einer Maßwerkgalerie, die die unteren Felder abschließt, so daß zunächst ein liegendes Rechteck die Basis für den weiteren Aufriß der Fassade abgibt. Im zweiten Stockwerk erfahren die mächtigen Turmstreben ihre erste Verjüngung, die Wand des Mittelfeldes ihre stärkste Auflockerung. Rosenfenster und frei schwebendes Maßwerk ordnen sich nischenartig hintereinander. Das Dreieck des großen Wimpergs übergreift die Portalgiebel und vereint sie zu einer pyramidalen Komposition, die nun schon weit in das erste Turmfreigeschoß vorstößt. Damit ist die Verknüpfung von Fassade und Turm überzeugend gelungen. Zugleich laufen von den Seiten die Halbgiebel der Flanken an und verschaffen dem Turm zwingende Aufstiegskraft. Nachdrücklich interpretieren die ansteigenden Blendbögen und die »hinaufkriechenden« Krabben das Anstemmen dieser Schulterstücke. Ihren Rückhalt gewinnen sie in den zu Türmchen verstärkten Eckfialen, deren rechte als Treppenturm ausgebildet ist. Die formale Ausprägung der Westfassade ist stark von der westlichen Gotik bestimmt. Die Portalwimperge in ihrer Abwechslung mit den kleinen Blendwimpergen der Strebepfeiler finden an den Chorkapellen der Kathedrale Notre-Dame in Paris (begonnen 1296) ihr Vorbild. Das freistehende Stabwerk am zweiten Geschoß ist eine originelle Umbildung von Motiven der Münsterfassade in Straßburg.

Der zurückhaltenden Chorpartie steht mit dem Langhaus eine vollkommen durchgestaltete, feingliedrige Architektur gegenüber. Es ist eine basilikale Anlage von sieben Jochen. Grundlegend für den Eindruck sind die Proportionen: Die Breite von reichlich 20 Meter (insgesamt) und die Höhe von knapp 20 Meter (im Mittelschiff) ergeben bei 56 Meter Länge einen leicht überschaubaren Raum, dessen Umfassungswände auch vom Mittelschiff aus überall spürbar bleiben und dessen Gewölbezone dem Blick noch durchaus nahe ist. Es fehlt die ferne Entrückung der steilen gotischen Kathedralräume wie auch deren unübersehbare Formenfülle: Der schöne Pfeiler, das ausgespannte Wandfeld, das zierliche Fenster, die Wandarkatur, die Wölbung. Die klare Faßlichkeit dieser schönen Einzelformen und ihre unmittelbar sinnfällige Beziehung untereinander macht den unkomplizierten, freien Eindruck des Raumes aus. Das älteste, östliche Pfeilerpaar (die Vierungs pfeiler des ursprünglichen Querhausprojekts) bewahrt mit den vier starken Hauptdiensten noch die herbe Fülle früher Gotik und erinnert uns daran, Entwurf und Beginn des Langhauses früh anzusetzen: etwa 1280. Erst die dünneren Dienste der weiteren Pfeiler gewinnen jene feingeschliffene Eleganz, die mit der Feinnervigkeit der Gewölberippen zusammengeht und nun einen straffen, einheitlichen Zug vom Boden bis ins Gewölbe veranschaulicht. Geschickt führt das Horizontalgesims zwischen den Diensten entlang, um den Linienfluß kontrapunktisch zu steigern. Gewöhnlich zog es hoch oben bei den Dienstkapitellen hin (Colmar, Freiburg, Wimpfen) und sonderte die Gewölbzone eigens ab. In Reutlingen verläuft es unmittelbar über den Mittelschiffarkaden und verselbständigt dadurch die glatte Obergadenwand. In ähnlichen Sinn rücken die Kapitelle der Mittelschiffpfeiler tiefer als üblich: Die Arkadenbogen setzen nicht gleich mit dem Kapitell an.

Orgel

Die Orgel wurde von 1987 bis 1988 von der Firma Rieger Orgelbau aus Schwarzach (Vorarlberg/Österreich) generalüberholt, Mensuren und Intonation sind von Klaus Knoth (Rieger Orgelbau). Die Zungenpfeifen sind französisch konzipiert. Die Orgel verfügt über 53 Register auf drei Manualen und Pedal. 

Es findet jedes Jahr im Sommer die Konzertreihe Reutlinger Orgelsommer mit  Orgelkonzerten statt.

 

Technische Daten:

  • 3813 Pfeifen
  • Traktur:
    • Spieltraktur mechanisch
    • Registertraktur elektrisch
  • Schleifladen
  • Spieltisch freistehend

 

Disposition:

I Hauptwerk C-g3 II Positiv C-g3

III SchwellwerkC-g3

Pedal C-f1
Prestant 16' Salicional 8' Bourdon 16' Principal 16'
Prinicipal 8' Holzgedackt 8' Principal 8' Subbaß 16'
Rohrgedackt 8' Quintade 8' Holzflöte 8' Quinte 102(3'
Spitzflöte 8' Prestant 4' Gamba 8' Octav 8'
Octav 4' Rohrflöte 4' Voix céleste 8' Gedackt 8'
Nachthorn 4' Sesquialtera II 22/3' Octav 4' Octav 4'
Quinte 22/3' Octav 2' Traversflöte 4' Rohrpfeife 4'
Superoctave 2' Blockflöte 2' Octavin 2' Hintersatz IV 22/3'
Mixtur major IV-V 2' Larigot 11/3' Tierce 13/5' Kontrafagott 32'
Mixtur minor III-IV Scharff V 1' Stifflet 1' Posaune 16'
Cornet V 8' Voix humaine 8' Plein Jeu VI 22/3' Trompete 8'
Trompete 16' Cromorne 8' Basson 16' Clarine 4
Trompete 8' Temulant 8' Trompette harm. 8'
Haubois 8'
Clairon harm. 4'
Tremulant

 

Koppeln: II/I, III/II, III/I, I/P, II/P, III/P
Spielhilfen: Elektronische Setzeranlage mit 99×8 Kombinationen
(zunächst 16×8, später erweitert)

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